,,Mensch Reik, ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Was ist denn wenn alles herauskommt?“ ,,Ja nu, willst du da raus oder nicht?” ,,Schon, doch es sind noch immer meine Eltern…“ , Asena wusste nicht mehr weiter. Einerseits war die Idee ganz wundervoll, endlich frei zu sein und das machen zu können, was sie schon immer tun wollte. Und auf der anderen Seite war sie doch an ihr Zuhause gewöhnt. Sie glaubte außerdem, zu tief in Reiks Schuld zu stehen wenn sie beide das umsetzten, was sie vorhatten. Er wollte sie, das wusste und fühlte sie. Irgendwann würde er ihr so nahe sein wollen wie kein Mann zuvor und das machte ihr Angst. Sie mochte Reik sehr, doch was wäre wenn sie irgendwann nichts mehr miteinander zu tun haben wollten? Was würde aus ihnen werden wenn sie einfach nur noch wie Geschwister im selben Haus wohnten? Würde es bedeuten, dass sie dann wieder ausziehen und alleine leben müsste? Sie brauchte einen sicheren Plan B. Alleine wohnen käme für die nächsten vier bis sechs Jahre nicht in Frage. Reik lebte alte Werte, das war schon einmal gut. Bis sie 18 wurde, würde er sie sicher mit sexuellen Handlungen in Frieden lassen. Sie war noch lange nicht bereit intim mit ihm zu werden. Dafür brauchte sie deutlich mehr Sicherheit. Emotionale Sicherheit. Auch wenn sie noch gar nicht wusste, was ihr fehlte, so spürte sie doch, dass etwas noch nicht so war, wie es sein sollte. Ihr fehlte die Sicherheit und es fiel ihr sehr schwer ihm zu vertrauen. Reik bemühte sich so sehr um sie, doch wer sagte denn, dass seine Mutter es genauso hielt? Am Ende rief sie ihre Eltern an um sie zurück nach Hause zu schicken… Asena brauchte dringend einen Job neben der Schule und fand, dass sie besser eine Ausbildung machen sollte als ihr Abitur. So wäre sie zumindest etwas abgesichert. Und was wurde aus ihren sechs Geschwistern? Die waren ja noch immer in der Situation, dass keiner auf sie achtete und sie den plötzlichen Gefühlsschwankungen ihres Vaters ausgesetzt. Sie mussten eigentlich auch von zu Hause raus. Die Zwillinge mit vier, und ihre Schwester mit sechs Jahren schliefen zu dritt in einem Zimmer und hatten weder Privatsphäre noch die Möglichkeit den Gewaltexzessen zu entfliehen. Beim kleinsten Vergehen oder Ungehorsam gab es sofort Schläge für alle oder sie wurden eingesperrt. Nahrung, Kleidung, Freizeit, es wurde einfach alles reglementiert. Essen gab es nur für Kinder, die gehorchten und den Haushalt machten. Sie selbst war wie eine Ersatzmutter für ihre Geschwister. Ihre eigene Mutter ging jeden Morgen um vier zur Arbeit - sie war Reinigungskraft in einer großen Firma. Ihr Vater verließ das Haus um halb sechs zur Arbeit - also machte Asena das Frühstück für ihre Geschwister und sorgte dafür, dass sie sich wuschen und ihre Zähne putzten. Sie räumte hinterher die Küche auf, kümmerte sich darum, dass sie pünktlich zum Schulbus kamen und brachte ihre kleinen Brüder zur Nachbarin, dass sie ihn später mit den Kindergarten nahm. Asena achtete darauf dass das Haus ordentlich war, und das Kinderzimmer aufgeräumt und dass sie saubere Kleidung trugen. Sie wusch ihre Wäsche, bezog ihre Betten und besserte Kleidung aus. Wenn Schuhe zu klein wurden, ging Asena auf den Dachboden und schaute, was noch an Kleidung vorhanden war. Sie sorgte dafür, dass ihr Schwester ihre Hausaufgaben machte und dass regelmäßig Turnbeutel und Schulsachen beisammen waren. Bisher hatten Schule und Kindergarten noch nichts bemerkt. Doch was würden ihre Geschwister ohne sie tun? Es war zu viel in ihrem Kopf. Sie brauchte Pause. Einfach eine Pause. Und gleichzeitig stand Reik stolz wie Bolle da und breitete ihr seinen Plan aus. ,,Wenn es Dir bei uns gefällt, dann könntest du in das alte Zimmer meiner Schwester ziehen. Das liegt gleich gegenüber meinem oben auf unserem Flur. Und du kannst mit mir zur Schule fahren. Was meinst du?” ,,Reik, das hört sich alles ganz wunderbar an. Ich brauche Zeit das Alles zu verarbeiten. Können wir nicht erst einmal das Abendessen bei dir zu Hause hinter uns bringen bitte?“ ,,Hinter uns bringen? Man, ich setze gerade Himmel und Hölle dafür in Bewegung, dass du da raus kommst und endlich in Sicherheit leben und zur Schule gehen kannst! Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mir wünsche, dass es dir gut geht!” ,,Das verstehe ich Reik! Und ich muss mein Leben erstmal grob neu vorsortieren. Bitte gib´ mir den Raum und die Zeit das zu tun. Dann können wir gerne den nächsten Schritt gehen. Es gibt noch so viel, das wir vorher klären müssen. Bitte.“ ,,Wenn das dein Wunsch ist, dann gut.” Mit ruhigen Bewegungen packte Reik seine Schultasche und ließ Asena in der Pausenhalle stehen. Was sie sich nur dachte. Er wollte ihr doch einfach nur helfen…
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